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Wer nicht leistet was erwartet wird, ist nicht begabt?

"Du könntest bessere Noten haben."

 

Diesen Satz hat wohl jeder von uns mindestens einmal in seinem Schulleben gehört. Diese Aussage stellt uns in eine spezielle Kategorie: die der Underachiever. Underachiever sind Personen, deren Leistungen hinter ihrem vermeintlichen Potenzial zurückbleiben. Doch bedeutet dies automatisch, dass jemand, der weniger leistet, weniger begabt ist?

 

Das Underachievement-Phänomen ist nicht ausschließlich an Hochbegabung gebunden. Es ist in allen Bereichen der Bildung zu finden, von normal begabten bis hin zu hochbegabten Schülerinnen und Schülern.

Es entsteht, wenn wir das Gefühl haben, dass eine Person mehr leisten könnte, aber aus bestimmten Gründen nicht tut. Diese Gründe können vielfältig sein und reichen von Motivationsmangel über Beziehungsstörungen zwischen Lehrkraft und Schüler bis hin zu emotionalen Belastungen.

 

Die Neurobiologie weist uns auf die zentrale Bedeutung der Beziehung zwischen dem Lehrenden und dem Schüler hin. Ist diese Beziehung gestört, kann dies zu einer verminderten Leistung führen. Underachievement ist daher kein einmaliger Zustand, sondern entsteht schleichend und langfristig.

Es handelt sich hierbei nicht um eine "Lernbehinderung" im üblichen Sinne, sondern um eine im Laufe der Lerngeschichte entwickelte Leistungsschwäche, insbesondere im Bereich der Leistungsmotivation.

 

Im Extremfall kann ein Underachiever bis zur vollständigen Leistungsverweigerung tendieren. Diese Kinder erleben die Schule oft als Ort negativer Gefühle wie Langeweile, Unterforderung oder mangelnder Anerkennung.

Nicht selten entscheiden sich hochbegabte Kinder, ihre eigene "Besonderheit" aufzugeben, weil diese ihnen nur Schwierigkeiten bereitet.

Sie passen sich an die Mehrheit an, in der Hoffnung, als "gleich" angesehen zu werden und so weniger Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das Streben nach Gleichheit oder zumindest Ähnlichkeit kann jedoch eine erhebliche psychische Belastung darstellen und zu einem verstärkten Bedürfnis führen, das eigene "Anderssein" zu unterdrücken.

 

In einem herkömmlichen Schulbetrieb herausragende Leistungen zu zeigen, besonders engagiert zu sein, wird nicht immer anerkannt und kann sogar als störend empfunden werden.

Deshalb ist es wichtig, dass wir uns auf die Herausforderungen konzentrieren, die Kinder bewältigen können und ihnen zumuten, damit sie wachsen können. Dies gilt insbesondere für begabte und hochbegabte Kinder.

 

Es ist daher entscheidend, dass wir Underachievement nicht einfach als Zeichen mangelnder Begabung interpretieren, sondern als Signal dafür, dass Kinder und Jugendliche individuelle Unterstützung und Förderung benötigen, um ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Denn nur wenn wir alle Aspekte der Entwicklung und Lerngeschichte eines Kindes berücksichtigen, können wir es dabei unterstützen, sein wahres Potenzial zu entdecken und zu nutzen.

 

Hochbegabung: Eine Segnung und ein Fluch zugleich?

 

Die Hochbegabung – oft mit der Assoziation von mühelosem Erfolg verbunden – muss nicht zwangsläufig ein ungetrübter Segen sein. Das gilt insbesondere, wenn wir uns mit Underachievern unter den Hochbegabten beschäftigen. Die spezifischen Herausforderungen, mit denen diese Schülerinnen und Schüler konfrontiert sind, sollen im Folgenden anhand einiger Beispiele aus dem schulischen Kontext erläutert werden.

 

Stoffdefizite

 

Hochbegabte Schülerinnen und Schüler, die in einigen kognitiven Bereichen besonders talentiert sind, haben oft nicht gelernt, wie sie mit komplexem Lernstoff umgehen sollen. Fehlende Arbeitstechniken und Lernstrategien können dazu führen, dass sich in bestimmten Fächern schnell Wissenslücken ansammeln. Der Schüler oder die Schülerin weiß, dass diese Defizite nur mit erheblicher Lernarbeit behoben werden können – die Motivation sinkt weiter, und Misserfolge und Frustration sind vorprogrammiert.

 

Versagensängste und geringes Selbstwertgefühl

 

Viele Kinder erhalten die Botschaft: "Du bist begabter als andere". Obwohl gut gemeint, kann dieser Hinweis zu erheblichem Leistungsdruck führen. Das Kind strebt nach Perfektion und entwickelt in der Folge Versagensängste. Es traut sich nichts mehr zu, meidet lieber Prüfungssituationen, um Fehler zu vermeiden, und befindet sich damit in einem ständigen Spannungsfeld zwischen Erwartungen und tatsächlicher Leistung. Underachiever haben oft ein geringes Selbstwertgefühl – sie führen Misserfolge auf mangelnde Fähigkeiten zurück, während sie Erfolge lediglich auf Glück zurückführen.

 

Langeweile und Motivationsdefizite

 

Hochbegabte Kinder zeichnen sich durch ihre schnelle Auffassungsgabe und exzellenten Denkfähigkeiten aus. Wenn sie jedoch gezwungen sind, den Unterrichtsstoff im gleichen Tempo wie durchschnittlich begabte Kinder zu lernen (also für sie zu langsam) oder wenn sie mit Aufgaben konfrontiert werden, die für sie zu einfach sind, entstehen Langeweile und ein Verlust an Motivation.

 

Schulunlust und Leistungsverweigerung

 

Wenn die Schule für ein hochbegabtes Kind zu einem Ort wird, an dem es vor allem Langeweile statt notwendiger Anerkennung und Förderung erlebt, verliert es das Interesse am Schulbesuch. Jeder Mensch, jedes Kind benötigt Anerkennung. Insbesondere bei hochbegabten Kindern und Jugendlichen dürfen Leistungen nicht als selbstverständlich angesehen werden.

 

Es ist wichtig, die Ursachen der Schulunlust zu identifizieren: Handelt es sich um Angst? Um Ausflüchte? Langeweile? Rebellion? Nur wenn wir die Gründe für die Schulunlust verstehen, können wir adäquate Lösungen und Unterstützungsmaßnahmen finden.

 

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